Offener Brief der Stadtgemeinde Znaim wegen gigantischer Windkraftanlagen an der niederösterreichisch-südmährischen Grenze

autor: | 17. 10. 2024 | Z radnice

Sehr geehrte Frau Landeshauptfrau Mag.a Johanna Mikl-Leitner!

Wir grüßen Sie und Ihre Landesregierungs-Kolleginnen und Kollegen aus Znaim (Znojmo), einer Stadt mit langer Geschichte, die dank ihrer geografischen Lage von allen anderen wichtigen Siedlungen Mährens seit jeher die engste Verbindung zum Land Niederösterreich hat. Wir möchten Sie einladen, die Stadt Znaim zu besuchen und ein persönliches Gespräch zu führen über den aktuell besprochenen Plan zum Ausbau von fünf Windkraftwerken am Buchberg bei Mailberg, nördlich von Immendorf / Wullersdorf, in der sogenannten „kleinen Toskana“ des Weinviertels. Wie uns mitgeteilt wurde, ist derzeit auch geplant, anschließend weitere 10 (!) Kraftwerke am südlichen Rande des Pulkautals, in der Nähe der österreichisch-mährischen Grenze, zu errichten. Alle diese Windräder sollen 250 Meter (!) hoch sein, was mehr als fünfmal so hoch ist wie unsere höchsten Kirchtürme, die natürlichen kulturhistorischen Wahrzeichen unserer gemeinsamen kulturellen Landschaft.

Wir sind bereit, und wir haben solide Gründe dafür (s. unten), solche Absichten sowohl auf professioneller als auch auf politischer Ebene zu verhindern. Die Stadt Znaim, die größte Stadt im südwestlichen Teil Mährens, vertritt konsequent diese Haltung. Bereits im Jahr 2009 ließen wir eine Fachstudie zur Bewertung des Landschaftscharakters des Znaimer Bezirks erstellen. Im Hinblick auf kulturhistorische und landschaftliche Werte wurde in dieser Studie der Bau von Windrädern nicht empfohlen. Auf der Grundlage dieser Studie hat der Gemeinderat von Znaim im April 2010 einen Beschluss gefasst, der bis heute gültig ist, dass die Stadtgemeinde Znaim dem Bau von Windkraftanlagen auf ihrem Territorium nicht zustimmt und den Bürgermeister dazu ermächtigt, alle Maßnahmen zu ergreifen, die den Bau solcher Hochanlagen auch in der Umgebung, mit optischer Auswirkung auf die Stadt, verhindern werden. Wir merken an, dass es damals im Jahr 2010 Windkraftanlagen halb so hoch gebaut wurden wie heute. Umso dringlicher ist unsere aktuelle Sorge.

Denn das jetzige Projekt für die gigantische Windräder auf dem Buchbergrücken bei Mailberg und Immendorf (Gde. Wullersdorf) ist in direkter Sichtweite (in einer Luftentfernung von 18 Kilometern von Znaim) und so berührt die Interessen der südmährischen Grenzgemeinden, einschließlich unserer Stadtgemeinde, bitten wir Sie, sehr geschätzte Frau Landeshauptfrau, um Ihr Verständnis und Berücksichtigung unserer Argumente und auch für den persönlichen Umgang in dieser Angelegenheit. Wir laden Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen herzlich ein, die Stadt Znaim zu besuchen. Sie werden sich selbst von der visuellen Vernetzung und den kulturhistorischen Werten unserer gemeinsamen historischen österreichisch-mährischen Grenzregion überzeugen können. Wenn Sie unsere Einladung annehmen, werden wir versuchen, auch die gleichzeitige Anwesenheit unseres südmährischen Hauptmannes Mgr. Jan Grolich sicherzustellen.

Und nun, erlauben Sie uns, Sie an wenig bekannte Fakten aus der Geschichte des österreichisch-mährischen Grenzgebiets zwischen Znaim, Retz und Laa an der Thaya zu erinnern. Der einst Silva More genannte Hügelkamm und das Pulkautal in der Nähe von Mailberg (Mouriberg/Mährerberg) haben einen bedeutenden historischen Wert in sich. Im Jahr 1083 fand hier die erste große Schlacht zwischen den böhmischen und österreichischen Ländern, zwischen den von den Přemysliden auf der einen und den Babenbergern auf der anderen Seite angeführten Truppen statt. Das Pulkautal und das angrenzende Thayatal sind musterhafte Beispiele einer wunderschönen Weinbaulandschaft, und was für uns äußerst wichtig ist, sie stehen in direktem visuellem Kontakt mit zwei denkwürdigen Orten der historischen Stadt Znaim – d.h. mit der altmährischen Wallburg auf dem Pöltenberg (Hradiště sv. Hippolyta) und mit der ehemaligen königlichen und markgräflichen Residenz – der Znaimer Burg. Beide Orte sind sehr eng mit der Geschichte Niederösterreichs verbunden, denn die ersten christlichen Missionare kamen um das Jahr 800 nach Znaim direkt aus der Gegend von St. Pölten, an welches das in Mähren völlig einzigartige Patrozinium und der Name des ältesten Teils der Stadt Znaim – Pöltenberg – hinweisen. Und was die Znaimer Burg betrifft, in ihrer höchstgelegenen Mitte steht die Burgkapelle der Jungfrau Maria und der Hl. Katharina, einzigartige romanische Rotunde, die während der Regierung des mährischen Fürsten Leutold von Znaim und seiner Ehefrau Ida von Babenberg, der Schwester von Leopold III., dem heiligen Schutzpatron Österreichs, kurz nach 1100 erbaut wurde.

Die wichtigsten kulturgeschichtlichen Schätze unseres mährisch-österreichischen Grenzgebietes müssen wir sicherlich nicht betonen: die unterm Denkmalschutz stehenden Städte Znaim, Retz und Laa an der Thaya, steinerne Zeugen kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ländern, aber auch Zeugen der langjährigen Zusammenarbeit innerhalb einer Monarchie, als die Grenze zwischen Mähren und Österreich nur eine Verwaltungslinie war. Die natürliche Achse dieser kulturhistorischen Region ist der Fluss Thaya und sein rechtsufriger Nebenfluss Pulkau. Entlang diesen liegen weitere Orte unseres gemeinsamen historischen Gedächtnisses: das 1190 gegründete Prämonstratenserkloster Louka / Bruck an der Thaya, das durch eine „Nabelschnur“ mit dem älteren niederösterreichischen Stift Geras im Norden des Waldviertels verbunden ist, weiter die Burg, heute Schloss Seefeld, wo diplomatische Verhandlungen zwischen den Herrschern Österreichs und Böhmens und Mährens im Mittelalter häufig stattfanden, oder auch die uralten Ordenshäuser der Johanniter in Mailberg und auf mährischer Seite in Erdberg (Hrádek) an der Thaya. Nicht zu vergessen ist das wunderschöne mährische Städtchen Joslowitz (Jaroslavice) mit ihrem Schloss, dessen sonnige Arkadenterrasse im Renaissancestil nur wenige hundert Meter von der österreichischen Grenze entfernt ist und auf den bereits erwähnten majestätischen Buchberg bei Mailberg blickt, der nur 11 Kilometer entfernt emporkommt.

Alle wichtigen touristischen Aussichtspunkte der Stadt Znaim und des östlichen Randes des grenzüberschreitenden Nationalparks Thayatal/Podyjí, längs welches der mittelalterliche Panorama-Hauptweg von Krems an der Donau über Eggenburg, Retz, Znaim nach Brünn, genannt Rittersteig, verläuft, sind von tollen Blicken Richtung Süden und Südosten, nach Niederösterreich, geprägt und gerade der öfters sehr klare Horizont mit dem dominierenden Buchberg bei Mailberg (420 m ü. M.) mit seinem noch intakten Landschaftscharakter und der bereits erwähnten historischen Bedeutung für die mährisch-böhmisch-österreichische Geschichte ist Objekt der Bewunderung aller Bewohner und Besucher unserer Region seit jeher.

Wir müssen diese zeitlosen Werte gemeinsam verteidigen. Wir müssen sicherlich nicht betonen, dass eine reine Landschaft mit einem dichten Netz von Agrardörfern und historischen Städten, dominiert von Kirchtürmen und malerischen Hügeln, ohne störende Industriedenkmäler der neusten Zeit, eine der Hauptvoraussetzungen für nachhaltigen Tourismus ist. In dieser infrastrukturell vernachlässigten, peripher gelegenen Grenzregion von Niederösterreich und Südmähren ist der Tourismus einer der wenigen verbliebenen Lebens- und Wohlstandsbereiche seiner Bewohner, sei es auf der niederösterreichischen oder der südmährischen Seite der Grenze. Es gibt uns auch die Chance, einen gemeinsamen Landschaftsschutzrahmen für die Zukunft anzustreben (z. B. UNESCO usw.).

Und schließlich noch zur Situation in Südmähren: Auch hier bekommen wir in den letzten Wochen und Monaten ernste Nachrichten, dass bestimmte Investoren, die am meisten mit Chinas Mammutindustrie verbunden sind, die Subventionspolitik der Europäischen Union für grüne Energie ausnützen wollen, um den Landschaftscharakter unserer Grenzregion, eine über Jahrhunderte erhaltene kulturgeschichtliche Agrarlandschaft, mit diesen zahlreichen riesigen Masten und Propellern der Windparks für unsere Lebenszeiten zu zerstören. Wir sind darüber traurig. Es gibt glaubwürdige Fachstudien zur Analyse dicht bebauter Gebiete in Deutschland, die von der massiven Errichtung von Windparks schon betroffen sind und in denen die Nachteile dieser Errichtungen klar benannt werden, insbesondere die Auswirkungen auf den Rückgang der Immobilienpreise, d. h. die Beeinträchtigung der Eigentumsrechte der Bürger, also der grundlegenden verfassungsmäßigen Garantien unserer Mitbürger.

Aus den oben genannten Gründen und aus Gründen der weiteren freundschaftlich-nachbarschaftlichen Beziehungen gestatten wir uns, Parteienstellung im laufenden Verfahren „Windpark Wullersdorf“ (WST1-UG-49/037-2024) zu beantragen. Wir möchten an der am 6. November 2024 in St. Pölten stattfindenden Verhandlung persönlich teilnehmen. Wir bedanken uns bei Ihnen im Voraus.

Sehr geehrte Frau Landeshauptfrau, vielen Dank im Voraus für Ihr Verständnis und für die Zeit, die Sie dem grenzüberschreitenden Problem widmen werden!

Hochachtungsvoll und mit freundlichen Nachbargrüßen

Mgr. Frantisek Koudela, Bürgermeister                              PhDr. Jiri Kacetl, Vize-Bürgermeister

Stadtgemeinde Znaim (Město Znojmo)
Obroková 12, 669 02 Znojmo, CZ

Zur Kenntnisnahme:

Mag. Susanne Rosenkranz, NÖ Landesrätin für Naturschutz

DI Ludwig Schleritzko, NÖ Landesrat, gewesener Direktor des Nationalparks Thayatal

Mag. Georg Stöger, Honorarkonsul der Republik Österreich in Brünn

Stefan Lang, Bürgermeister unserer Partnerstadt Retz

HR. Brigitte Ribisch, MA, Bürgermeisterin von Laa an der Thaya

Ing. Alfred Babinsky, Bürgermeister der Bezirksstadt Hollabrunn

Dr. Jiří Šitler, Botschafter der Tschechischen Republik in Wien

Mgr. Jan Grolich, Hauptmann des Kreises Südmähren

Mgr. Karel Podzimek, Kreisrat von Südmähren und Gemeinderat von Znaim

Ing. Tomáš Rothröckl, Direktor des Nationalparks Thayatal/Podyjí (CZ)

Christian Übl, BSc, Direktor des Nationalparks Thayatal (AT)

Blick von der Znaimer Burg aus Richtung Niederösterreich und Buchberg bei Mailberg
Wunderschönes Pulkautal an der österreichisch-mährischen Grenze, „Toskana“ des Weinviertels

Jiří Kacetl

místostarosta města Znojma, historik

místostarosta města Znojma, historik